Text über ICH DACHTE MAN DARF ALLES by Jenny Mues

Ich dachte man darf alles. Ein Gesamtes Kunstwerk.
Idee, Regie, Bühnenbild: Hedwig Eberle, Anna McCarthy 
Texte, Regie: Manuela Gernedel, Sebastian Kellig, Hank Schmidt in der Beek, Jürgen Schlattl
 


Wenn man vor ein paar Wochen die Gelegenheit gehabt hätte im Haus der Kunst bei an einem Künstlergespräch zum Thema Tanz teilzunehmen, das Chris Dercon mit Johan Simons, dem Intendanten der Münchner Kammerspiele, und  Tino Seghal  führte, hätte man vor allem eine vollendete Pirouette des recht beleibten Simons erleben können, die das kunstkritisch durchleuchtete Podium, für diesen Moment zu einer "echten" Bühne machte.
In dem von über 40 jungen Künstlern und Musikern aufgeführten vierteiligen Stück "Ich dachte man darf alles" ist es gewissermaßen der Zuschauer, welcher auf Bürodrehstühle platziert - es sind dieser hundert, die sich als Pulk in mit von 4 Bühnen aufhalten, die Stück um Stück, eine nach der anderen über einen Zeitraum von 2 Stunden geöffnet und bespielt werden, eine Pirouette dreht. Die Idee für diese Anordnung geht auf Hedwig Eberle und Anna McCarthy, bildende Künstlerinnen in München, zurück. Am Anfang steht die Idee ein Bauerntheater zu machen und hierfür befreundete und bekannte bildende Künstler, Musiker und Schreibende zusammenzubringen. So treffen im ersten Stück (Text: Sebastian Kellig) die karste bierschwere Logik der bayerischen Stuben  mit den Gentle-Manieren eines reisenden  "open minded Englishman" aufeinander und man entscheidet sich gemeinsam für den Tod eines  renitenten, Cockney sprechenden, kleinen,Jungen, welcher zur Verteidigung seiner Unangepasstheit das "but, I thought everything was allowed",  von sich gibt. Damit springt diese Losung gewissermaßen auf das Publikum über und vom schlichten, reduzieren Text und Interieur des Bauerntheaters geht es weiter zu schwingenden, virtuellen modernen Mädchenapocalypsen (Text: Manuela Gernedel, Musik: Manuela Gernedel, Nick Mc Carthy) , cineastisch geprägten Hardcore-Slapstick von Jürgen Schlattl bis zum dadaistischen Finale, dem Lunsen-Ring von Hank Schmidt von der Beek (Musik: Nick McCarthy, Sebastian Kellig, Damenkapelle u.A.). Herausragend ist neben den sehr feinen und brachialen Texten und kindhafter Dichtung, die Musik, in dem diese aufgehen und das Bühnenbild, das mitunter demonstrative Effekte herstellt.
Man könnte sagen, für dieses Stück wurde eben eine neue Form erfunden, die irgendwo zwischen Musical, Theater, Film und Malerei angesiedelt ist.
In gewisser Weise ist dieses Stück auch ein Kommentar zum schnöden Kunstbetrieb und zur Absurdität der herrschenden Ausstellungsformate, die die bildende Kunst bezähmen und durchleuchten.  Es scheint nur natürlich das Format des Theaters zu wählen, das gewissermaßen alle gleichzeitig angeht. Statt sich an Supernova-gesteuerten Ausstellungsriten abzuarbeiten oder diese zu pervertieren (Tino Seghal) steht hier die Aktion im Vordergrund, welche so grundlegend die zeitgenössische Kunst getragen hat, eine 360° Bewegung an welcher auch Simons mit seinem Theatergroep Hollandia mit gewirkt hat.
Zum Schauplatz: das Maximiliansforum in München befindet sich in einer Unterführung am Ende der Maximilansstraße, der Brilliantmeile Münchens. Somit weist alles auf eine Untergrund-Aufführung hin, die man jedoch weder als high oder low,  inter oder supra, sondern als gesamtes Kunstwerk definieren mag.

"Ich dachte man darf alles" ist vor allem das Gegenteil von Angst:
eine Grand Solution und eine Great Sensation.

- Jenny Mues